Wirkung: Lebensraum und Nahrungsquelle für MIV
Einleitung
Nennenswerte Mengen an Totholz finden sich in den hiesigen Fließgewässern
lediglich auf kurzen Gewässerabschnitten kleiner Bäche (HERING
& REICH 1997). Das Fehlen dieses wichtigen Strukturelements mag ein
Grund dafür sein, daß sich in Deutschland bisher nur wenige
Untersuchungen mit der Bedeutung von Totholz in Fließgewässern
als Lebensraum und Nahrungsquelle für Makroinvertebraten beschäftigt
haben.
Im Gegensatz dazu finden sich in der nordamerikanischen Literatur einige
Arbeiten zu diesem Thema. Das Totholz dient demzufolge den Makroinvertebraten
zur Festhaftung, als Nahrungsquelle, als Zufluchtsort, zur Eiablage, zur
Emergenz, als Ort der Verpuppung und ist Baumaterial für die Köcher
der Trichopteren (HARMON et al. 1986, ANDERSON et al. 1984).
Viele Arten sind auf das Vorkommen von Totholz angewiesen. DUDLEY &
ANDERSON (1982) geben für Gewässer in Oregon 45 Arten an, die
eng an Totholz gebunden sind, weitere 80 Arten nutzen es fakultativ. Für
die mitteleuropäische Makroinvertebratenfauna findet sich lediglich
bei HERING & REICH (1997) eine Auflistung von Arten, die aufgrund von
Hinweisen aus der Literatur der Gruppe der Totholz assoziierten Taxa zuzuordnen
sind.
Die Besiedlung des Totholzes durch Makroinvertebraten, die Artenzusammensetzung
der Biozönosen und das Vorkommen bestimmter Ernährungstypen werden
vor allem von Zerfallsgrad, Wassersättigung, Oberflächenstruktur,
Grad der mikrobiellen Besiedlung und Baumart bestimmt (GURNELL et al. 1995,
HARMON et al. 1986, ANDERSON et al. 1984, DUDLEY & ANDERSON 1982).
Zerfallsgrad, Grad der mikrobiellen Besiedlung
Die Besiedlung erfolgt nach DUDLEY & ANDERSON (1982) in Abhängigkeit
vom Zerfallsgrad in folgenden Schritten:
- Die unzersetzte Holzoberfläche wird vor allem zur Festhaftung
genutzt, nur wenige Arten minieren in der obersten Schicht. Diese auf der
Oberfläche vorkommenden Arten gehören vorwiegend zur Gruppe der
fakultativen Totholz - Nutzer.
- Algen und Mikroben beginnen die Oberfläche zu besiedeln. Dieser
Aufwuchs dient "collectors" und "grazers" als Nahrung, die Struktur des
Holzes wird jedoch nicht wesentlich verändert.
- Pilze besiedeln das Holz und weichen es auf, so daß "scrapers"
einzelne Holzpartikel abschaben und aufnehmen können. "Gougers" und
"shredders" siedeln sich an, verändern die Oberflächenstruktur
und schaffen somit Lebensraum für viele Arten. Die in dem stärker
zersetztem Holz vorkommenden Taxa sind zum Großteil eng an diesen
Lebensraum gebunden.
- Die fortschreitende Besiedlung des Holzes durch Pilze lockert es weiter
auf und verbessert so die Sauerstoffversorgung. "Borers" beschleunigen
durch die Begünstigung der mikrobiellen Ausbreitung den Zerfall.
- Annelidae und andere Detritvoren dringen in das Holz ein. Der weitere
Zerfall ähnelt dem unter feuchten, terrestrischen Bedingungen.
Eine bereits vor dem Eintrag ins Gewässer erfolgte mikrobielle
Besiedlung erlaubt ein schnelles Eindringen der aquatischen Organismen
und beschleunigt so den Zerfall.
In großen Fließgewässern kommt es zur Abrasion der
stark zerfallenen, weichen, äußeren Schicht, so daß die
fortgeschrittenen Zerfallsstadien nur in Stillwasserbereichen und im Oberlauf
kleiner Fließgewässer erreicht werden (DUDLEY & ANDERSON
1982).
Wassersättigung
Die höchste Artenvielfalt weist Totholz im Übergangsbereich
von Wasser und Land auf. Dieser semi - aquatische Bereich wird nur bei
Hochwasser überflutet und ist während Niedrigwasser, aufgrund
des kapillaren Aufstiegs, wassergesättigt oder zumindest feucht (DUDLEY
& ANDERSON 1982). Der ständige Wechsel zwischen aquatischen und
terrestrischen Bedingungen begünstigt den Zerfall des Holzes (TRISKA
& CROMBACK 1980, zitiert in GURNELL et al. 1995), so daß neben
den auf der Oberfläche vorkommenden "gougers", "surface scrapers"
und "shallow tunnelers" das Totholz auch von "tunnelers" besiedelt werden
kann.
Die strukturreiche Oberfläche des stark zerfallenen Holzes eignet
sich daneben auch verstärkt zur Eiablage, Verpuppung, Köcherbau
und Emergenz (Abb.1) (ANDERSON et al. 1984).
Abb.1: Vorkommen bestimmter Ernährungstypen in Abhängigkeit
vom Zerfallsgrad (aus ANDERSON et al. 1984, S. 1848
Oberflächenstruktur
O´CONNER (1991) konnte nachweisen, daß die Artenvielfalt
auf strukturreichen Holzoberflächen größer ist als auf
strukturarmen. Dies ist jedoch nicht nur auf die Zunahme der Lebensraumdiversität
auf der strukturreicheren Holzoberfläche zurückzuführen.
Es kommt daneben zur Sedimentation von Sohlsubstrat auf der Oberfläche,
was eine Erhöhung der Substratdiversität und damit der Lebensraumdiversität
zur Folge hat (O´CONNER 1991).
Baumart
Hinsichtlich des Zerfalls und der Besiedlung durch Makroinvertebraten,
weisen vor allem die Laub- und Nadelholzarten große Unterschiede
auf. Grund für den langsameren Zerfall von Koniferen ist zum einen
der hohe Lignin- und Gerbstoffgehalt sowie der geringe Nährstoffgehalt,
zum anderen läßt der Bau der Tracheiden nur eine langsame Besiedlung
des Holzes durch Pilze zu (HARMON et al. 1986).
Quantität
Neben der Qualität des Substrates ist für die Besiedlung des
Totholzes durch Makroinvertebraten auch die Quantität des zur Verfügung
stehenden Lebensraums von Bedeutung. Ein geeignetes Maß hierfür
ist die submerse Holzoberfläche (BENKE et al. 1984, DUDLEY & ANDERSON
1982, WALLACE & BENKE 1984).
Das Volumen ist eine weniger aussagekräftige Größe,
da der Zerfall des Holzes und die damit verbundene Besiedlung durch Mikroorganismen,
Algen und Pilze, die Anreicherung mit Nährstoffen und die Erhöhung
der Strukturvielfalt des Holzes von der Oberfläche her erfolgt (GURNELL
et al. 1995, HARMON et al. 1986). Während die äußere Schicht
des Totholzes Lebensraum und Nahrung für die Makroinvertebraten bereitstellt,
stellen große Teile des Volumens ein nicht besiedlungsfähiges
Substrat dar.
In Abhängigkeit von der Höhe des Wasserspiegels ändert
sich der Anteil der submersen Holzoberfläche (WALLACE & BENKE
1984). WALLACE & BENKE (1984) gliedern den Gewässerquerschnitt
in vertikaler Richtung daher in zwei Zonen. Zum einen ist dies der ganzjährig
wassergesättigte Bereich bis zur Höhe des sommerlichen Niedrigwassers,
der die minimale Ausdehnung des Habitats darstellt und zum anderen der
Bereich bis zur Höhe des bordvollen Niveaus, in dem das Totholz nur
zeitweise überflutet wird.
Darüber hinaus befindet sich in der Aue noch besiedlungsfähiges
Totholz, welches zumindest bei Hochwasser überflutet werden kann.
In der Literatur gibt es Hinweise darauf, daß die Besiedlung des
submersen Holzes durch die Makroinvertebraten sehr rasch erfolgt (BENKE
et al. 1984, O´CONNER 1991). Es wäre von großem Interesse
zu erfahren, in welchem Umfang und wie rasch diese Besiedlung in den hiesigen
Fließgewässern erfolgt, um die Bedeutung des Substrates abschätzen
zu können. Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine Kartierung
des Totholzes im Gewässer handelt, wird dieser Bereich ausgeklammert.
Es zeigt sich hier die enge Verzahnung von Aue und Gewässer, die eine
getrennte Betrachtung erschwert.
Bedeutung bei sandigem Sohlsubstrat
Vor allem in Gewässern mit vorwiegend leicht verlagerbarem, sandigem
Sohlsubstrat stellt das Totholz oft das einzige stabile, besiedlungsfähige
Substrat dar (HERING & REICH 1997, WALLACE & BENKE 1984, BENKE
1988, GURNELL et al. 1995, SMOCK et al. 1989, TIMM 1994).
In einem sandigen Tieflandsbach in Schleswig - Holstein fanden SPETH
& BÖTTGER (1993) die höchste Artenvielfalt der Ephemeropteren
(Eintagsfliegen), Plecopteren (Steinfliegen) und Trichopteren (Köcherfliegen)
auf Totholz und Fallaub.
Die Ergebnisse mehrerer U.S.- amerikanischen Studien belegen ebenfalls,
daß die Besiedlung von Fließgewässern mit vorwiegend sandigem
Sohlensubstrat entscheidend vom Vorhandensein von Totholz abhängt.
Ein Bach 1. Ordnung in Südost Virginia, U.S.A., weist auf der Oberfläche
des Holzes, relativ zum restlichen, sandigen Substrat, sowohl eine um den
Faktor 10 höhere Individuendichte als auch eine um den Faktor 5 höhere
Biomasse auf (SMOCK et al. 1989). Noch sehr viel höhere Werte geben
BENKE et al. (1984) für Fließgewässer 4. und 6. Ordnung
in Georgia, U.S.A. an. Auf dem submersen Holz sind, relativ zur Substratoberfläche
der sandigen Sohle sowohl die Biodiversität als auch die Sekundärproduktion
(Faktor 3 - 4) und die Biomasse (Faktor 20 - 50) größer.
Bedeutung als Nahrungsquelle
Totholz und das daraus durch Abrasion entstehende feinpartikuläre
organische Material sind eine wichtige Nahrungsquelle für Makroinvertebraten
(WARD & AUMEN 1986, GURNELL et al. 1995). Viele der Arten, die dem
Ernährungstyp der "shredder" zuzuordnen sind und vorwiegend Laub aufnehmen,
können sich fakultativ auch von Holz und den darauf vorkommenden Mikroorganismen
und Pilzen ernähren (ANDERSON et al. 1984). Xylophage Arten finden
sich vor allem bei den Dipteren (Zweiflügler), Coleopteren (Käfer)
und Trichopteren (Köcherfliegen) (HARMON et al. 1986, HERING &
REICH 1997).
Mindestens ebenso bedeutend ist das Fallaub als Nahrungsquelle (WARD
& AUMEN 1986, BÖTTGER 1990). SMOCK et al. (1989) stellen ebenso
wie MOLLES (1982) fest, daß ein höherer Totholz - Anteil, aufgrund
des damit verbundenen Rückhalts von organischem Material (Laub), die
Individuendichte und vor allem die Biomasse des Ernährungstyps "shredder"
erhöht. In den Laubansammlungen können einige Arten (Gammarus
fossarum, Amphipoda, Habroleptoides confusa, Ephemeroptera) extrem hohe
Individuendichten erreichen (CASPERS 1975 zitiert in HERING & REICH
1997).
Zusammen mit Zweigen und Stengeln bildet das Laub Ansammlungen (Geniste),
die für zahlreiche Arthropodenarten ein wichtiges Rückzugsgebiet
während Hochwasser darstellen (HERING & REICH 1997).
Bei heterogener Verteilung des Totholzes kommt es zu einer starken
Differenzierung der Gewässer hinsichtlich der Nahrungsversorgung und
des Lebensraums (SMOCK et al. 1989).
Parameterauswahl
Die Literaturrecherche zeigt, daß die Wirkung des Totholzes als
direkter Lebensraum und Nahrungsquelle für Makroinvertebraten im wesentlichen
von den Parametern Zerfallsgrad, Wassersättigung, Oberflächenstruktur,
Grad der mikrobiellen Besiedlung, Baumart, submerse Holzoberfläche
und Verteilung bestimmt wird.
Es wurde auch deutlich, daß neben Totholz auch Ansammlungen aus
Zweigen und Laub als Nahrungsquelle und Lebensraum für die Makroinvertebraten
von Bedeutung sind. Da sich aus der Literatur kein ökologisch begründbarer
Schwellenwert für die Wirkung von Totholz als Lebensraum und Nahrungsquelle
für Makroinvertebraten ableiten läßt und eine Abgrenzung
des Totholzes von den kleineren Ästen nur willkürlich erfolgen
kann, erscheint es sinnvoll, diese Geniste mit in die Kartierung aufzunehmen.
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